Wissenschaftsethik

Wie exakt können Wissenschaften von der Gesellchaft sein?

Handlungsnormen als Spielregeln der Gesellschaft
- Ein Forschungsprogramm -

Vortrag für die Universität der Bundeswehr, Neubiberg 13.06.1997


"Der Rückständigkeit der moralischen Wissenschaften kann man nur dadurch abhelfen, daß man auf sie die gebührend erweiterten und verallgemeinerten Methoden der Naturwissenschaft anwendet."

John Stuart Mill


1. Präferenzen und gesellschaftliche Kohäsion
In der Volkswirtschaftslehre ist es üblich, von den Präferenzen der "Mitspieler" in einer ökonomie zu sprechen. Diese Präferenzen spiegeln die subjektiven wirtschaftlichen Interessen der Akteure wider und haben eine Rangfolge.

Wir fragen nun, ob es auch, spezifisch für jede Gesellschaft, analog dazu und weit allgemeiner objektive soziale - nicht nur wirtschaftliche - Präferenzen mit einer eigenen Rangfolge gibt, die den Interessen genau dieser Gesellschaft insgesamt dienen, zugleich aber im wohlverstandenen Interesse des einzelnen Bürgers liegen.

Wenn Präferenzen sowohl den einzelnen Bürgern wie der Gesellschaft insgesamt objektiv zugute kommen sollen, können sie nur linear sein, d.h. ob zwei oder Millionen Paare miteinander wechselwirken ist mit Bezug auf die Präferenzen und ihre Rangordnung einerlei.

Präferenzen herauszufinden, die im Interesse der ganzen Gesellschaft liegen, ist viel einfacher als solche zu finden, welche einzelnen Paaren individuell zukommen.

Keine Gesellschaft kann zusammenhalten, wenn sie nicht überlebt. Aus diesem durch unsere praktische Lebenserfahrung ausreichend gestützten Grundpostulat können objektive Präferenzen - zunächst ohne Rangfolge - abgeleitet werden, die zugleich jedem einzelnen Menschen und jeder sozialen Gruppe innerhalb dieser Gesellschaft zugute kommen.

Wenn alle möglichen Paare sich gegenseitig umbringen, verwunden, Gegenstände wegnehmen oder belügen, kann eine Gesellschaft schon aufgrund praktischer Erfahrung nicht überleben.

Frei von Risiko des Totschlags, der Verwundung, der Wegnahme und der Lüge zu sein, ist sowohl für die Kohäsion der Gesellschaft wie für die Existenz des einzelnen notwendig.

All die genannten Risiken verschwinden, wenn alle möglichen Paare das Töten, Verwunden, Wegnehmen oder Lügen unterlassen. Frei vom Risiko des Totschlags, der Verwundung, der Wegnehme oder der Lüge zu sein, seien Beispiele für objektive Präferenzen erster Art.

Es gibt weitere objektive Präferenzen, Präferenzen zweiter Art. Wenn in einer Gesellschaft kein Partner einem anderen da hilft, wo dieser weniger leistungsfähig ist als er selbst, kann diese Gesellschaft ebenfalls nicht zusammenhalten. Auch die einzelnen Menschen haben keinerlei Lebenschancen, denn schon das Neugeborene erfährt voraussetzungsgemäß keine Hilfe.

Präferenzen erster Art sind Verboten, bloßen Unterlassungen, zugeordnet, Präferenzen zweiter Art hingegen gehören zu Geboten, Handlungen oder Aktivitäten. Verbote als Unterlassungen führen immer zum Ziel, wenn alle diese Gebote befolgen; Gebote oder Handlungen können unter Umständen ihr Ziel verfehlen.

Wir fassen zusammen. Präferenzen erster Art kommen der Gesellschaft wie jedem Bürger gleichermaßen und sicher zugute, wenn alle die zu den Präferenzen gehörenden Verbote befolgen, die entsprechenden Taten also unterlassen. In den Genuß von Präferenzen zweiter Art kommen Gesellschaft wie die einzelnen gleichermaßen, aber nur mit - mehr oder weniger hoher - Wahrscheinlichkeit, wenn alle die zugehörigen Gebote beachten, die entsprechenden Taten also ausführen.

Da in Wirklichkeit in jeder Gesellschaft der Geschichte wie der Gegenwart die angesprochenen Verbote wie und Gebote nur mit Wahrscheinlichkeit erfüllt werden, sind die zugehörigen Präferenzen auch nur mit Wahrscheinlichkeit für die Gesellschaft wie die betroffenen Bürger erfüllt.

2. Moral, Recht und Ethik
Staaten verbieten alles, was den inneren oder sozialen Frieden zu unterhöhlen scheint. Staatliche Vorschriften, deren übertretung bestraft wird, heißen rechtliche Normen.

Handlungsregeln, die freiwillig befolgt werden, weil sie aufgrund traditioneller Erziehung bereits jungen Menschen in Fleisch und Blut übergegangen sind, sind die erwähnten moralischen Normen. Aristoteles, der Ethik als Theorie der Moral begründete, glaubte, nur Griechen ließen sich geistig und moralisch bilden. Nichtgriechen, "Barbaren" - so riet er Alexander -, sollten deshalb wie "Haustiere oder Nutzpflanzen" behandelt werden [Marc Aurel, S. IX]. Alexander setzte sich über den Rat seines Lehrers hinweg: Er schuf ein Weltreich, in dem Griechen und Nichtgriechen gleichberechtigt waren. Als "Hellene" galt nun, wer griechisch verstand, an griechischem Geist und an griechischer Moral teilhatte. Der griechisch gebildete römische Kaiser Marc Aurel befürwortet im Gegensatz zur Aristoteles eine einheitliche Moral für alle: "...alles, was für einen beliebigen Menschen förderlich ist, ist es auch für die anderen. Der Begriff 'förderlich' soll aber in diesem Falle in allgemeinerem Sinn von den 'mittleren' Dingen verstanden werden" [Marc Aurel, S. 80].

Das ethische Grundprinzip des Christentums gilt ebenfalls für alle: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!" Die christliche Moral ist auch nach 2000 Jahren von größter Aktualität wie die jüngst erschiene Schrift "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" [Engelhardt] der beiden großen deutschen Kirchen wieder zeigt.

Die grundlegende Idee zu einer von religiösen überzeugungen wie bloßen Emotionen unabhängigen Rechtfertigung einer gemeinsamen Moral für alle findet sich schon bei Platon [Platon S. 48]: Verboten ist, was, wenn alle es tun, den Untergang nicht nur des eigenen, sondern jedes Landes riskiert.

Im folgenden stehen Risiken, die vom menschlichen Verhalten abhängen und zugleich das überleben jedes Landes bedrohen, als "ethische Risiken" im Zentrum.

Zu jedem ethischen Risiko gehört eine ethische Regel, die es minimiert, wenn alle sie einhalten.

Aristoteles sieht Ethik als Teil der Politikwissenschaft [Aristoteles, S. 56]. Das ethische Regelwerk - so wird sich unten zeigen - ist aber die Basis aller Wissenschaften der Gesellschaft und der Geschichtswissenschaft, es ist methodische Grundlage zur Gestaltung jeder risikoarmen gesellschaftlichen Praxis.

Da zwischen ethischen Risiken Korrelationen bestehen, können - bei übertretung ethischer Regeln oder in Mangelsituationen - soziale Konflikte (Abschnitt 7) entstehen.

Schon der "Fall Sokrates" [Platon S. 5, S. 37] zeigt einen solchen Konflikt: Kann der Stadtstaat Athen nach einem Urteil, das zuerst allgemein akzeptierte Normen mißachtete, erwarten, daß Sokrates danach noch alle moralischen oder rechtlichen Normen einhält?

Ulrich Beck diskutiert in "Risikogesellschaft - Auf dem Weg in eine andere Moderne" zusätzliche ethische Risiken und Konflikte, die durch Wissenschaft und Technik in die Welt gekommen sind: "In der fortgeschrittenen Moderne geht die gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einher mit der gesellschaftlichen Produktion von Risiken. Entsprechend werden die Verteilungspläne und -konflikte der Mangelgesellschaft überlagert durch die Probleme und Konflikte, die aus der Produktion, Definition und Verteilung wissenschaftlich-technischer Risiken entstehen" [Beck, S. 25].

Technischen Chancen stehen oft erhebliche ethische Risiken gegenüber, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Auch diesen Risiken gegenüber zeigt sich die Philosophie ratlos.

Hans Georg Gadamer, der Nestor der deutschen Philosophie, befindet: "Wir haben eine dreihundertjährige Schuld zu begleichen. Seit drei Jahrhunderten haben wir eine phantastische Entwicklung unseres Wissens und Herrschenkönnens über die Naturkräfte erlangt. Wir haben nichts auch nur entfernt Vergleichbares in der Bildung des Menschen für die richtige Anwendung dieser neuen Macht. Deswegen erleben wir heute, daß wir in einer Welt leben, in der unendlich zerstörerische Machtmittel in die Hand des Menschen gekommen sind. Niemand weiß, wie man die Menschheit vor der Selbstvernichtung bewahren soll. Hier haben wir ein unendliches Manko" [ZEITPunkte, S. 20].

3. Ethik als überlebensspiel

Schon im 19. Jahrhundert erklärte John Stuart Mill: "Der Rückständigkeit der moralischen Wissenschaften kann man nur dadurch abhelfen, daß man auf sie die gebührend erweiterten Methoden der Naturwissenschaft anwendet" [Mill 68, S. IX]. Moralische Wissenschaften werden heute als Gesellschaftswissenschaften bezeichnet.

Die breite Anwendbarkeit der exakten Naturwissenschaften ruht auf drei Pfeilern: Kausalität, Erfahrung und Mathematik. Die breite Anwendbarkeit der Ethik ruht ebenfalls auf drei Säulen: Risikominimierung, Erfahrung und Mathematik.

Zunächst sei eine sich selbst zum Zwecke der Begrenzung ethischer Risiken in Raum und Zeit durch ein Regelwerk organisierende politisch souveräne Gesellschaft ein Land. Ethik ist dann eine empirisch gehaltvolle statistische Theorie, in der ethische Risiken durch Befolgung von festen ethischen Regeln minimiert werden können.

Ethische Risiken, die durch technische Anwendungen entstanden sind - etwa das Ozonloch oder die Umweltverschmutzung -, erstrecken sich heute räumlich wie zeitlich oft so weit, daß historisch gewachsene Länder sie nicht mehr alleine begrenzen können; dies deutet auf die Notwendigkeit einer Weltregierung hin.

Wir definieren nun: Je besser ein Land ethische Risiken im Zeitablauf begrenzt, desto größer seine Vernunft. Die Vernunft eines Landes ist eine dynamische Größe.

Die entscheidende innenpolitische Aufgabe jedes Land besteht darin, individuelle Risikobegrenzung mit kollektiver in Einklang zu bringen; nur dann werden erfahrungsgemäß viele Bürger aus eigener Initiative zur Erhöhung der Vernunft ihres Landes beitragen.

Länder wie technische Konstruktionen sind Menschenwerk. Zur Zweckerreichung müssen im ersten Fall ethische Regeln, im zweiten Naturgesetze feste und zwingende Konstruktionsvorschriften sein. Ethik hat für die Gesellschaft die selbe Aufgabe wie Physik für die Technik.

Flugzeuge als deterministische Systeme fliegen z.B. nur, wenn Naturgesetze als zwingende Konstruktionsvorschriften dienen. Staaten als statistische Systeme erfüllen den Zweck wirksamer Begrenzung ethischer Risiken umso besser, je häufiger ihre Bürger ethisch begründeten festen Spielregeln folgen.

Nutzt man Technik, entziehen sich Einzelfälle im Zusammenleben bisweilen statistischer Beschreibbarkeit: Eine Einziger vermag, nutzt er eine geeignete Technik - etwa Gift in der zentralen Wasserversorgung -, Regionen zu entvölkern.

4. Ethische Risiken und Regeln, Wertigkeiten

4.1 Ethische Risiken Mit der genauen Definition und Messung ethischer Risiken steht und fällt die Objektivität fester ethischer Regeln.

Risiken sind als Produkte von Risikofaktoren und zugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeiten erklärt und meßbar. Ethische Risikofaktoren wie zugehörige Eintrittswahrscheinlichkeiten bilden als statistische Meßgrößen die empirische Grundlage aller hier eingeführten ethischen Theorien; sie sind zugleich selbst Teil dieser Theorien und nur durch sie definiert.

4.2 Ethische Grundrisiken
Ethische Grundrisiken werden als Wechselwirkungen zwischen Paaren von Menschen definiert. Paarweise Interaktionen können materiell sein - wie Verwundungen, Wegnahme, Zerstörung oder übergabe von Gegenständen - oder immateriell - wie mangelhafte Aufrichtigkeit im Sprachverhalten (Lüge). Es gibt genau zwei disjunkte Klassen von ethischen Grundrisiken, die erste enthält Unterlassungen, die zweite Handlungen.

Wenn eine Interaktion - von allen möglichen Paaren eines Landes praktiziert - mit Sicherheit zu dessem Untergang führt, dann beschreibt sie genau dann ein ethisches Grundrisiko der ersten Klasse, wenn sie - von allen unterlassen - das Land mit Sicherheit vom betreffenden Risiko freihält.

Ein Beispiel: Wenn alle möglichen Paare eines Landes sich gegenseitig umbringen, geht es mit Sicherheit unter. Wenn dagegen alle möglichen Paare jede Tötung unterlassen, ist es der frei von jeder Tötungshandlung durch Menschen.

Wenn eine paarweise Interaktion - von allen Paaren eines Landes nicht praktiziert - mit Sicherheit zu dessem Untergang führt, so beschreibt sie ein ethisches Grundrisiko der zweiten Klasse.

Wenn keine Mutter ihrem Säugling hilft, geht jedes Land zugrunde; doch auch wenn jede Mutter nach bestem Wissen ihrem Kinde beisteht, kann diese Hilfe - etwa wegen Ungeschicklichkeit oder Unkenntnis über Baby-Nahrung - fehlschlagen.

Ethische Grundrisiken bedrohen jedes Land - ob Menschen dies nun erkennen oder nicht -, unabhängig von seiner Sozialstruktur, von der Größe seiner Bevölkerung, der Ausdehnung seines Territoriums oder dem Stand seiner Technik.

4.3 Starke ethische Grundregeln
Jedem Grundrisiko, das schon durch Unterlassung verschwindet, ist eine "starke ethische Grundregel" zugeordnet. Wenn alle diese starke Grundregel als feste Regel befolgen, ist die zugeordnete Klasse des Grundrisikos leer. Wir sagen dafür: Die starke ethische Grundregel ist "erhalten".

Die Erhaltung einer starken ethischen Grundregel ist eine notwendige und zugleich hinreichende Bedingung zur Vermeidung des zugehörigen ethischen Grundrisikos.

Beispiele: Wenn keiner seinen Nachbarn verwundet, verschwindet das Verwundungsrisiko durch Menschen im entsprechenden Land. Wenn keine Mutter abtreibt - oder abtreiben läßt -, verschwindet das Abtreibungsrisiko.

4.4 Schwache ethische Grundregeln
Wenn ein ethisches Grundrisiko durch eine von allen durchgeführte paarweise Interaktion statistisch signifikant verkleinert wird, dann gehört zu diesem Grundrisiko eine "schwache ethische Grundregel". Befolgen alle diese schwache Grundregel, dann wird das zugehörige ethische Risiko statistisch signifikant begrenzt.

Die Erhaltung der schwachen Grundregel paarweiser Hilfe reduziert das Untergangsrisiko jedes Landes wesentlich, doch reicht sie nicht notwendig zum überleben des Landes.

4.5 Schwache ethische Regeln
Wir definieren: Eine Vorschrift, die bei universeller Befolgung ein zugeordnetes ethisches Risiko nur statistisch signifikant begrenzt, heißt schwache ethische Regel.

Alle schwachen ethischen Grundregeln und alle ethischen Regeln, die den Umgang mit der belebten und der unbelebten Natur sowie mit der Technik zuverlässig bestimmen, gehören zu den schwachen ethischen Regeln.

Schwache ethische Regeln, die keine Grundregeln sind, sind evolutionsabhängig. Die ihnen zugehörigen ethischen Risiken müssen durch Forschung regelmäßig neu ermittelt werden.

Wenn niemand raucht, geht das Risiko in einem Land, an einem Lungenkarzinom zu sterben, statistisch signifikant zurück, verschwindet aber nicht, da weitere Noxen zu Lungenkrebs führen können.

4.6 Ethische Regeln als feste Regeln
Die Brechung einer einzigen ethischen Regel genügt, um da eine lokale Störung der sozialen Ordnung hervorzurufen, wo jemand diese Spielregel übertritt. Wer z.B. einen Menschen mit dem Tode bedroht, ruft Gegenreaktionen des Opfers oder seiner Umgebung hervor, die ihrerseits Verwundung oder Tod mit sich bringen, beides Regelwidrigkeiten.

Ethische Regeln müssen deshalb feste Regeln der Gesellschaft sein, damit diese erfolgreich ethische Risiken begrenzen kann. Damit ist der aus der Moral bekannte Appell jeder Norm auf unbedingte Befolgung erklärt. Wie bei einem Gesellschaftsspiel werden auch ethische Regeln oft übertreten, wenn große individuelle Vorteile winken und man damit rechnen kann, nicht ertappt zu werden.

Technische Systeme sind vertrauenswürdig, da sich Natur und Technik stets an ihre Regeln, die Naturgesetze halten, soziale umso weniger, je häufiger - wegen individueller Vorteile - ethische Regeln übertreten werden.

4.7 Ethiken und erweiterte Ethiken
Wir definieren: Alle Länder eines vorgegebenen wissenschaftlich-technischen Standes, für welche die selben ethischen Regeln als feste Handlungsregeln abgeleitet werden können, bilden zusammen eine Kultur.

Eine Menge ethischer Grundregeln bildet dann eine "Darstellung der Ethik" eines Landes oder einer Kultur, wenn aus der Erhaltung der Grundregeln dieser Menge folgt, daß die Menge aller anderen Grundregeln dieser Ethik ebenfalls erhalten ist.

Ist die Ethik eines Landes erhalten, dann schützen dort die ethischen Grundregeln auch jeden Menschen - unabhängig von Staatsangehörigkeit, sozialem Status, Alter, Gesundheitszustand, Geschlecht, Religion, Hautfarbe oder was sonst an Unterscheidungsmerkmalen gefunden werden kann. Dies erlaubt folgende Interpretation: Die Menschenwürde in diesem Lande ist gewahrt.

Ethik beschäftigt sich nie mit Individuen, sondern immer nur mit Systemen fester Handlungsregeln und mit deren jeweiligen Anwendungsbereichen.

Wer ethische Regeln - mitunter auch zu seinem persönlichen Nachteil - stets einhält, begrenzt ethische Risiken besser als ein anderer, den nur sozialen Sanktionen zur Einhaltung ethischer Regeln zwingen.

Diesen Sachverhalt kann man zur Erklärung der Autonomie verwenden: Ein Menschen ist genau dann autonom, wenn er immer ethischen Regeln folgt, solange kein Normenkonflikt auftritt.

Eine durch weitere schwache Regeln, deren Kenntnis einen entsprechenden wissenschaftlich-technischen Stand voraussetzt, angereicherte Ethik heiße eine erweiterte Ethik. Eine Klasse starker und schwacher Regeln bildet dann eine Darstellung der erweiterten Ethik, wenn aus der Erhaltung der Regeln der Klasse folgt, daß alle übrigen ethischen Regeln der erweiterten Ethik ebenfalls erhalten sind.

4.8 Wertigkeit, Schaden und geordnete Ethiken
Je größer ein Risikofaktor, desto größer die Wertigkeit der zugehörigen ethischen Regel. Risikofaktoren messen den volkswirtschaftlichen Aufwand für die Behebung des Schadens, der durch Eintritt des ethischen Risikos entsteht.

Ein Beispiel: Der Risikofaktor eines GAUs ist sehr groß, weil der größte anzunehmende Unfall bei einem Kernkraftwerk, tritt er einmal ein, eine ganze Region oder ein ganzes Land unbewohnbar machen kann, von den unmittelbar getöteten Menschen einmal ganz abgesehen.

5. Friedfertige, gerechte und vernünftige Länder

5.1 Geordnete Darstellungen von Ethiken
Ordnet man die Darstellung einer Ethik oder einer erweiterten Ethik der Größe der Wertigkeiten ihrer Regeln nach, erhält man geordnete Darstellungen einer Ethik oder einer erweiterten Ethik eines Landes.

5.2 Friedfertige Länder und starke Regeln
Ein Land und seine Ethik sei vorgegeben. Je kleiner die Wertigkeit der letzten starken Regel in dieser Ethik ist, die im Land noch signifikant häufig befolgt wird, desto "friedfertiger" sei es.

In der Fiktion eines "friedfertigen Landes" , in dem keine einzige starke Regel mißachtet wird, gibt es z.B. auch nicht die kleinste Gewalttat, keine einzige Abtreibung, keinerlei Unterdrückung der Meinungsfreiheit, keinen Sexismus oder Rassismus, keinerlei religiöse Intoleranz oder keinen einzigen Diebstahl. Im - fiktiven - friedfertigen Land sind alle starken ethischen Regeln erhalten.

Die Erhaltung der starken Regel "Gewaltfreiheit" impliziert, daß sowohl Staat und Gesellschaft gegen Bürger, als auch Bürger untereinander oder gegen Staat oder Gesellschaft keine Gewalt ausüben.

Bereits volle Gefängnisse in einem Land widerlegen die Vermutung, es handle sich um ein friedfertiges Land.

Die Friedfertigkeit eines Landes läßt sich durch einen Vektor g beschreiben, wobei die gesellschaftlichen Risikofaktoren in fallender Größe angeordnet werden:
g = {g(1),...,g(i),...g(m)}. g(1) ist der größte vermeidbare Risikofaktor, jedes g(i) kennzeichnet einen vermeidbaren Risikofaktor. Der Zustandsvektor besitzt um so mehr Komponenten g(i,t), je präziser ein Land oder eines seiner sozialen Subsysteme durch vermeidbare Risikofaktoren beschrieben werden soll.

Im allgemeinen wird wegen der tatsächlichen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Grundrisiken ein - aufgrund empirischer statistischer Forschungen - geeignet ausgewählter Vektor minimaler Dimensionen für ein zu beschreibendes Land zu einer vorgegebenen Zeit ausreichen, die diesen Grundrisiken zugeordnet sind. Jede zusätzliche Dimension würde die Beschreibung nur unwesentlich verfeinern. Jedem vermeidbaren Risikofaktor, der einem solchen Zustandsvektor minimaler Dimension, einem "Satz von Risikofaktoren" angehört, ordnen wir eine "starke ethische Grundnorm" entsprechender Wertigkeit zu.

p [t,g(1)] z.B. möge die - im allgemeinen zeitabhängige - "Besetzungswahrscheinlichkeit" des Teilzustandes "frei von Totschlag" sein. Das fiktive "friedfertige Land" befindet sich im "Grundzustand"; er hat - in linearer Näherung - die Gestalt p°(t) = p°[g(1,t]xp°[g(2,t]x...xp°[g(m,t], alle p°[t,g(i)] = 1.

5.3 Das gerechte Land
Wenn in einem Land alle Menschen alle starken und schwachen ethischen Regeln einhalten, die Grundrisiken zugeordnet sind, heiße das - fiktive - Land gerecht. Wir sagen dafür auch: In einem gerechten Land sind alle starken und schwachen ethischen Regeln erhalten, die vermeidbaren oder unvermeidbaren ethischen Grundrisiken zugeordnet sind.

Wir suchen in der geordneten Ethik eines Landes die beiden starken und schwachen ethischen Regeln mit den kleinsten Wertigkeiten ihrer Klasse, die noch signifikant erhalten sind. Je kleiner die größere der beiden Wertigkeiten ist, desto gerechter das Land.

Bedenkt man, daß zwischen vermeidbaren und unvermeidbaren gesellschaftlichen Risikofaktoren im allgemeinen Korrelationen bestehen, dürfte in der Praxis schon die Erhaltung aller starken Grundregeln zur Beschreibung eines gerechten Landes ausreichen. Denn wäre ein Land ungerecht, würden sich nach aller Lebenserfahrung Randgruppen das mit Gewalt, Lüge oder Diebstahl zu holen suchen, was ihnen Staat und Gesellschaft insgesamt vorenthalten; dies müßte insbesondere zu mehr Gewalt zwischen Bürgern und zugleich zu mehr Gewalt zwischen Randgruppen und Staat führen.

Mathematisch läßt sich ein gerechtes Land durch einen geordneten Vektor s = {g;g'(1),g'(2),...,g'(i'),...,g'(m')} beschreiben; g'(1) beschreibt den größten unvermeidbaren Risikofaktor. Das gerechte Land ist stets auch friedfertig, das friedfertige mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gerecht; die g(i) sind vermeidbaren, die g'(i') unvermeidbaren Grundrisiken zugeordnet. Vektoren minimaler Dimension, deren Komponenten unvermeidbare Grundrisiken sind, werden wieder Sätze von Risikofaktoren genannt; die jedem Risikofaktor solcher Sätze zugeordnete ethische Regel entsprechender Wertigkeit bezeichnen wir als "schwache ethische Grundnorm".

Die Größe von Risikofaktoren oder von Wertigkeiten läßt sich nur empirisch ermitteln. Für jedes Land gibt es spezifische geordnete Sätze von Risikofaktoren, die Grundrisiken zugeordnet sind. Die Dimension der Sätze, die Größen der Faktoren und die Wertigkeiten der Grundnormen hängen vom wissenschaftlich-technischen Stand sowie der sozio-ökonomischen Struktur des entsprechenden Landes ab. Die den Risikofaktoren eines Satzes zugeordneten ethischen Grundnormen bilden eine Darstellung der geordneten normativen Ethik eines bestimmten Landes.

Die Besetzungswahrscheinlichkeit des Grundzustandes eines gerechten Landes ist gleich Eins, genauer p°(t) = p°[t,g(1)]xp°[t,g(2)]x...xp°[t,g(m)]xp°[t,g'(1)]x...xp°[t,g'(m')], wobei alle p°[t,g(i)] = 1 und p°[t,g'(g'(i)] = 1.

Solange keine geeigneten Forschungsprogramme zur Ermittlung der Sätze von Risikofaktoren für friedfertige oder gerechte Länder ermittelt sind, kann man sich dadurch helfen, daß man sich an der Kriminalitätsstatistik, in der Grund- durch entsprechende Rechtsnormen ersetzt werden, an den Belegungszahlen der Strafvollzugsanstalten oder an der Einhaltung der Menschenrechte orientiert.

Jedermann hätte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts die mangelnde Friedfertigkeit oder Gerechtigkeit des Hitler- und des Stalin-Regimes klar an der Gewalt gegen eigene Bürgerinnen und Bürger, insbesondere an der Gewalt gegen Juden, gläubige Christen und überzeugte Demokraten, erkennen können.


5.4 Das solidarische Land
Wenn alle überhaupt erkannten starken und schwachen ethischen Regeln ausnahmslos erhalten sind, sprechen wir von einem "solidarischen" oder einem "sozial gerechten" Land. Dieses vermeidet - im Rahmen seines wissenschaftlich-technischen Standes - durch die Art seiner Selbstorganisation, die allein durch sein Regelwerk, durch seine Ethik charakterisiert wird, am wirksamsten gesellschaftliche Risiken ganz oder begrenzt diese doch statistisch signifikant. Es räumt damit auf seinem Territorium allen Menschen die zu der entsprechenden Zeit bestmöglichen Lebenschancen ein.

Die soziale Gerechtigkeit eines Landes wird durch einen Zustandsvektor v[g,g',s] beschrieben, wobei g und g' mit den oben genannten Größen zusammenfallen, und der Vektor s = [s(1),...,s(j),...,s(n)] den den Größen nach geordneten Satz jener unvermeidbaren und zeitabhängigen gesellschaftlichen Risikofaktoren beschreibt, welche nicht paarweisen Interaktionen zugeordnet sind und im allgemeinen nur mit Hilfe der zuständigen Fachwissenschaften gewonnen werden können. Für die Besetzungswahrscheinlichkeiten des Grundzustands des sozial gerechten Landes gilt in linearer Näherung Analoges wie oben.

Auch bei den unvermeidbaren Risikofaktoren, die keinen Grundrisiken zugeordnet sind, sind für jedes Land spezifische minimale "Sätze" zu ermitteln. Jedem Risikofaktor, der zu einem solchen Satz gehört, ordnen wir eine "schwache ethische Norm" als schwache Regel entsprechender Wertigkeit zu.

Jedes sozial gerechte Land ist per Definitionem gerecht und friedfertig. Friedfertige oder gerechte Länder sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auch sozial gerecht.

Alle Grundnormen und schwachen Normen zusammen bilden eine Darstellung der erweiterten normativen Ethik des betreffenden Landes. Je verträglicher die Menge der moralischen Normen des Landes, also sein "Moral", mit einer geordneten normativen Darstellung von dessen Ethik oder erweiterten Ethik ist, desto besser begrenzt bereits die Befolgung aller moralischen Normen alle gesellschaftlichen Risiken im fraglichen Land.

Wählt man in der erweiterten und geordneten normativen Ethik eines Landes jeweils die starke Grundnorm, schwache Grundnorm und schwache Norm kleinster Wertigkeit aus, die jeweils gerade noch signifikant häufig erhalten sind, dann beschreibt die Größte dieser drei Wertigkeiten den Grad der sozialen Gerechtigkeit des entsprechenden Landes.

Die hier vorgeschlagene Definition ethischer Normen als feste Spielregeln zur Minimierung ethischer Risiken findet sich zumindest nicht in der philosophischen Literatur [Gethmann, Hoerster, Kambartel, Schrader].

So wie es keine friedfertigen oder gerechten Länder gibt, gibt es auch keine sozial gerechten; ethische Regeln, insbesondere starke und schwache ethische Normen sind nie streng erhalten; lediglich die Häufigkeiten bei deren Verletzung unterscheiden sich in den einzelnen Ländern.

5.6 Das vernünftige oder reformfähige Land
Wenn sich die Risikobilanz bzw. die soziale Gerechtigkeit eines Landes im Laufe der Zeit objektiv verbessert, dann ist es nach der ganz oben eingeführten Definition zusätzlich vernünftig oder reformfähig. Damit läßt sich die nur qualitative Definition der Reformfähigkeit einer Gesellschaft [Bentele] auch quantitativ beschreiben.

Zum Nachweis des Grades der Vernunft oder der Reformfähigkeit müssen die Häufigkeiten, mit denen vorgegebene starke und schwache ethische Normen bestimmter Wertigkeiten in Staat und Gesellschaft verletzt werden, im Verlauf der Zeit gemessen werden; gehen sie zurück, ist das Land vernünftig oder reformfähig, stagnieren oder steigen sie, ist dies nicht der Fall.

6. Ethik als Forschungsprogramm soziale Physik

6.1 Ethik und wissenschaftlicher Fortschritt
Die Evolution der technischen Praxis bildet ein Analogon für die Evolution der gesellschaftlichen Praxis.

Während Physik eine kausale empirische Wissenschaft in mathematischer Sprache ist, ist Ethik eine finale, eine normative empirische Wissenschaft in mathematischer Sprache. Ethik besitzt so eine andere methodische Struktur als Physik.

Um 1600 beschrieb Francis Bacon das "Grundgesetz der Technik": "Scientia et potentia humana in idem coincidunt, quia ignoratio causae destituit effectum" [Bacon 1620].

Forschungsprogramme der Physik als Grundlage der Natur- und Technikwissenschaften werden durch das - apriorische - Kausalprinzip konstituiert. Physik ist dann umfassend und zuverlässig in der technischen Praxis anwendbar, wenn das Kausalprinzip mathematisch präzise formuliert werden kann.

Das physikalische Forschungsprogramm besteht aus einer zeitlichen Folge empirisch gehaltvoller Theorien in mathematischer Sprache. Die jüngere - z.B. die Quantenmechanik - reproduziert mit ihrer präziseren mathematischen Formulierung des Kausalprinzips und ihrer Meßgrößen alle Naturgesetze ihrer Vorgängerin - z.B. der Newtonschen Mechanik - in ihren jeweiligen Anwendungsgrenzen; sie erzeugt zugleich zusätzliche Naturgesetze. Physikalische Erkenntnis wächst so kumulativ und verleiht dadurch der Technik wachsende Macht.

Naturgesetze gelten genau dann als begründet, "wahr", objektiv oder verläßlich, wenn sie erstens durch Beobachtungen wie in Anwendungen der technischen Praxis bestätigt werden, und sie zweitens aus einer bisher nicht falzifizierten physikalischen Theorie ableitbar sind.

Im Forschungsprogramm der Ethik als normative Theorie sich selbst in Raum und Zeit als Land organisierender Gesellschaften wird das Kausalprinzip durch das - apriorische - Finalprinzip der Minimierung ethischer Risiken ersetzt. Normen als feste soziale Spielregeln treten an die Stelle der Naturgesetze.

Aristoteles konstatiert bereits die mangelnde Präzision ethischer Argumente, hält sie jedoch für unausweichlich [Aristoteles 67, S. 56, 57]. Er hat erkannt, daß in der Ethik Situationen existieren, in denen man bestenfalls "das geringste der übel" [Aristoteles, S. 97] wählen kann. 2000 Jahre später fand Kant, daß in jeder Wissenschaft "im Grunde alles auf den Calcul ankommt" [Vorländer, S. 170]. Seine Vermutung bestätigt sich heute glänzend.

Einen "Calcul" schlägt Bentham zur Begründung von Moral wie Recht vor: die Maximierung des Nutzens - u.a. des Glücks - für möglichst viele Menschen, mit Nutzen als statistischer Meßgröße [Bentham, S. 56-57, S. 79-82]. Mill hat - erstaunlich modern - das Prinzip auf alles Leben ausgedehnt [Mill, S. 21]. Bentham und Mill sehen in der Maximierung des Nutzens oder der Minimierung von Schaden die beiden Seiten einer Medaille. Popper korrigiert die Utilitaristen: Er hält die Minimierung von Schaden, unter dem Menschen leiden, für ungleich wichtiger, als die Vermehrung des Glücks ohnedies Glücklicher [Popper, S. 289-290, 362].

Lange vor Popper hat Marc Aurel die fundamentale ethische Bedeutung von Schaden erkannt und Schaden zugleich definiert: "Was dem Staat nicht schadet, das schadet auch den Bürgern nicht.... Wenn aber der Staat geschädigt wird, muß man dem nicht zürnen, der den Staat schädigt, sondern man muß ihm zeigen, worin sein Fehler liegt." [Marc Aurel, S. 60].


Ethik besteht somit aus einer zeitlichen Folge empirisch gehaltvoller statistischer und zugleich - wegen des Konstitutionsprinzips der Risikominimierung - final-normativer Theorien. Die jüngere reproduziert mit ihrer präziseren statistischen Formulierung des Prinzips der Minimierung ethischer Risiken und der umfassenderen Erklärung, Messung oder Berechnung ethischer Risiken die ethischen Spielregeln und damit die ethischen Normen der älteren - hier der utilitaristischen - Theorie (genauer: der regelutilitaristischen Theorie). Sie erlaubt, neue Darstellungen erweiterter geordneter normativer Ethiken sowie Lösungen zur wirksamen Eindämmung von Normenkonflikten abzuleiten. Ethische Erkenntnis wächst kumulativ und liefert der gesellschaftlichen Praxis ethische Normen als Spielregeln zur zuverlässigen Begrenzung ethischer Risiken.

Ethische Normen gelten genau dann als begründet, richtig, objektiv oder verläßlich, wenn sie sich erstens in der gesamten gesellschaftlichen Praxis bei der Begrenzung von ethischen Risiken - laut Beobachtung - bewähren und zweitens als lineare Minimierungsbedingungen ethischer Risiken innerhalb des Anwendungsbereichs einer nicht falsifizierten empirisch gehaltvollen ethischen Theorie ableitbar sind.

Die Bezeichnung von Ethik als "sozialer Physik" [J.S. Mill] ist sinnvoll, weil Ethik die Grundlage aller Wissenschaften der Gesellschaft ist, genau wie Physik die Basis der Natur- und Ingenieurwissenschaften bildet.

6.2 Ethik und Verantwortung
Wer stets moralischen Normen gehorcht, auch wenn er nicht mit einer sozialen Kontrolle rechnen muß, gilt in seiner Kultur als anständig, "tugendhaft" oder "gut" und genießt das unbeschränkte Vertrauen seiner Umgebung.

Auch gute Menschen können in "normative Dilemmata" geraten. Normenkonflikte spielen in der Ethik eine ähnliche Rolle wie Antinomien in der Logistik.

Wegen normativer Dilemmata in der Politik suchte bereits M. Weber die "Gesinnungsethik" durch eine "Verantwortungsethik" [Weber 71] abzulösen, welche die Bewertung möglicher politischer Konsequenzen miteinbezieht.

Verantwortung [Lenk, S. 61] tragen Personen oder Gruppen, die einen Handlungsspielraum besitzen, für ethische Risiken

  • denen Menschen oder andere Lebewesen unterworfen sind
  • vor einer Instanz, etwa betroffenen Menschen oder Gerichten
  • für die moralische oder rechtliche Bewertung ihres Verhaltens.

Seit Mill wissen wir, daß mindestens die moralische Verantwortung alle die ethischen Risiken miteinschließt, von denen der "Frieden mit der Natur" [Meyer-Abich] abhängt.

Im "Prinzip Verantwortung" schlägt H. Jonas eine umfassende "Ethik für die technologische Zivilisation" [Jonas 79] vor. Seine zahlreichen qualitativen Beispiele vermögen eine in die Praxis umsetzbare, eine einheitliche operationalisierbare Theorie von Moral oder Politik nicht zu ersetzen. Nur empirisch gehaltvolle Kalküle können - nach all unserer Erfahrung - die Richtigkeit und Anwendbarkeit ethischer Normen für die gesellschaftliche Praxis so zuverlässig begründen wie die Richtigkeit und Anwendbarkeit physikalischer Gesetze für die technische.

Ohne in der gesamten gesellschaftlichen Praxis objektiv geltende ethische Normen gibt es keine zuverlässige Bewertung gesellschaftlicher Verantwortung. br>
Umgekehrt besteht die einzige Möglichkeit, die Autonomie von Individuen empirisch und statistisch signifikant nachzuweisen, darin, daß diese bisher stets verantwortungsvoll gehandelt haben.

Dieser statistische Nachweis versagt naturgemäß in Einzelfällen. Damit ist eine - moralische oder strafrechtliche - Schuldzumessung im Einzelfall unmöglich. Nur eine Zuweisung von Verantwortung, die ursächlich für Risiken ist, ist möglich (Abschnitt 8).

Eine "subjektive oder skeptische Ethik" [Mackie, S. 14] oder eine "Diskursethik" [Vossenkuhl] ist so sinnlos wie eine entsprechend "begründete" Physik.


Tat wie Folgen gilt es gleichermaßen zu bewerten; Folgenabschätzungen allein reichen nicht aus [Nida-Rümelin 95].

Ohne Existenz ethischer Normen oder phsikalischer Gesetze gäbe es keine vertrauenwürdige soziale wie technische Praxis.

6.3 Statistische Mikroethik
Ethik als empirisch gehaltvolle Theorie der risikobegrenzenden Selbstorganisation von Gesellschaften im Raum und Zeit besitzt zwei Komponenten: die präskriptive statistische Mikroethik und die deskriptive statistische Makroethik. Die statistische Mikroethik ermittelt geordnete normative Darstellungen von Ethiken wie erweiterten Ethiken.

Zwischen Mikroethik und Mikroökonomik [Leininger] könnte es Parallelen geben: Die Mikroethik schreibt normatives Verhalten vor, das zur Minimierung ethischer Risiken in allen Gemeinwesen und damit für eine rationale Optimierung der allgemeinsten kollektiven Interessen notwendig ist. Die Mikroökonomik beschreibt das Entscheidungsverhalten von Produzenten und Konsumenten, das der rationalen Optimierung individueller Interessen dient. Vermutlich können in beiden Fällen ähnliche mathematische Verfahren genutzt werden.

Darstellungen von Ethiken lassen sich vergröbern oder - je nach der spezifischen Fragestellung - durch Berücksichtigung von Wertigkeiten ordnen und zusätzlich auch verfeinern; vergröberte Darstellungen umfassen weniger, verfeinerte mehr ethische Normen.

Familien zusammengehöriger bewerteter ethischer Normen kann man "sittlichen Werten", z.B. Wahrhaftigkeit ("Wisse was du sagst!"), soziale Gerechtigkeit ("Hilf den Schwächeren!") oder Friedfertigkeit ("Meide Gewalt!") zuordnen, die Menschen anstreben. Es läßt sich so eine "Hierarchie sittlicher Werte" mit den jeweils zugehörigen Normen finden; die Hierarchie hängt vom wissenschaftlich-technischen Stand eines Gemeinwesens ab. Werte haben gewöhnlich die Funktion individueller oder kollektiver Zielgrößen.

Alle Normen gehorchen einer spezifischen Logik, der "deontischen Logik" [Wright 94].

Beispiele für schwache Grundnormen:
sich nicht scheiden zu lassen, nicht als "Single", nicht in bewußt kinderlosen und nicht in homosexuellen Partnerschaften zu leben.

Beispiele schwacher Normen:
Erstens: Wenn Bürger FCKW-freie Sprays benutzen, wird das Risiko des Ozonlochs kleiner, aber nicht völlig verschwinden.

Zweitens: Je häufiger Transportvorgänge "dematerialisiert" werden - etwa durch Einsatz von Informatik-Systemen -, desto größer der Beitrag zur Vermeidung des Treibhauseffekts.

Drittens: Naturwissenschaftler, ärzte oder Ingenieure müssen all ihre Kräfte aufwenden, ihr "know-how" der wissenschaftlich-technischen Entwicklung anzupassen; nur so können sie ihren individuellen Beitrag zur Stabilisierung ihres Landes optimieren.

Dem Werk "Eine Theorie der Gerechtigkeit" von John Rawls [Rawls 79] schrieb die "Süddeutsche Zeitung" den Charakter einer "Weltmacht" [SZ 94] zu. Die Rawlssche Theorie hat gewisse Gemeinsamkeiten mit dem skizzierten Ethik-Forschungsprogramm, das "Eine Theorie der Lebenschancen" heißen könnte: Ohne jedes von Menschen verursachte Risiko zu leben hieße, relativ optimale Lebenschancen [Dahrendorf 79] zu besitzen. Rawls läßt mündige Bürger Normen durch einen rationalen Diskurs unter dem "Schleier der Ungewißheit" evaluieren. Der Evaluierungsprozeß steht unter dem obersten Prinzip "Gerechtigkeit als Fairneß": Genau die Normen gelten, die im Diskurs als fair angenommen werden. Das Prinzip Fairneß läßt keine metrische Interpretation zu, Normen werden bei Rawls durch - idealisierte - Diskurse, nicht aber durch Zuordnung zu exakt bestimmbaren Risiken ermittelt. Normenkonflikte spricht Rawls nicht explizit an.


6.4 Statistische Makroethik
Die statistische Makroethik ist - wie die Makroökonomik [Homburg] eine deskriptive, keine präskriptive Theorie. Sie beschreibt durch - im allgemeinen relativ wenige - Zustände, Besetzungs- und übergangswahrscheinlichkeiten, insbesondere die Friedfertigkeit, Gerechtigkeit und die Vernunft bzw. Reformfähigkeit von Ländern.

In keinem Land sind Normen streng erhalten, signifikant häufig allerdings in einigen seiner Untersysteme, sogenannten "vertrauenswürdigen Instanzen".

Wir beschreiben allgemein den makroethischen Zustand eines Landes durch einen Vektor, eine geordnete minimale Menge starker und schwacher Risikofaktoren, beginnend jeweils mit den größten Risikofaktoren. Diesen Vektor minimaler Dimension bezeichnen wir als einen Satz von Zustandsparametern. Aus Gründen, die unten verständlich werden, bezeichnen wir Zustandsparameter, deren zugeordnete ethische Normen im Land selbst - oder seinen Untersystemen - streng erhalten sind, als "freie Zustandsparameter", alle übrigen als ""gebundene Zustandsparameter".

Ein beliebiger Zustand z hat also die Gestalt z = [z(s),z'(s')], wobei s über alle "starken" und s' über alle "schwachen" freien wie gebundenen Zustandsparameter variiert.

Die Besetzungswahrscheinlichkeit eines vom Grundzustand verschiedenen "Risikozustands" , l verschieden von Null, hat die Gestalt: p(l,t) = p[l,t,z(1)]xp[l,t,z(2)]x...xp[l,t,z'(n')]. Dabei liegen die Besetzungswahrscheinlichkeiten des Einzelzustände p[l,t,z(i)] und p[l,t,z'(i')] im allgemeinen zwischen Null und Eins.

In statistischer Terminologie ist also jedes Land umso sozial gerechter, je mehr freie Zustandsparameter - die Zählung beginnt mit den Parametern höchster Wertigkeit - existieren.

Man kann den Grad der sozialen Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit oder der Friedfertigkeit eines Landes oder eines seiner sozialen Untersysteme makroethisch durch eine einzige Meßgröße, die Wertigkeit des entsprechenden kleinsten noch freien Zustandsparameters, beschreiben.

Der Grad der sozialen Gerechtigkeit zweier Länder A und B gleichen wissenschaftlich-technischen Standes läßt sich noch anders vergleichen: Wenn Normen gleicher Wertigkeit in mehreren Verfeinerungen in vergleichbaren sozialen Gruppen, die keine Leistungsträger sind - etwa Kindern, Jugendlichen, Kranken, Arbeitslosen, Pensionären, Asylanten - in A im Zeitverlauf häufiger erhalten sind als in B, ist A gerechter als B; in A ist dann auch die Menschenwürde besser gewahrt als in B.

Bürgergesellschaften [Dahrendorf 92] oder liberale Gesellschaften [Rawls 92] gehören nur dann zu den sozial gerechteren, wenn sowohl Gewalt unter Bürgern als auch zwischen Bürger und Staat - bei Ländern vergleichbaren wissenschaftlich-technischen Standes - selbst bei verfeinerten Darstellungen starker Normen statistisch signifikant selten auftritt. Todesstrafen, lebenslängliche Haftstrafen oder überfüllte Gefängnisse deuten auf geringe soziale Gerechtigkeit hin.


Sind alle starken und schwachen ethischen Normen erhalten, dann befindet sich das Land in seinem Grundzustand p[0,t]; alle z(i) und z'(i') sind ausnahmslos freie Zustandsparameter und alle p[0,t,z(i)] und alle p(0,t,z'(i')] gleich Eins.

Wenn z.B. als einzige Störung der sozialen Ordnung Diebstähle vorkommen, dann wird die Besetzungswahrscheinlichkeit des Gesamtzustands in linearer Näherung durch ein Produkt von Einzelwahrscheinlichkeiten beschrieben, bei dem nur die Besetzungswahrscheinlichkeit des durch den gebundenen Zustandsparameter "Diebstahl" beschrieben Einzelzustandes zwischen Null und Eins liegt, alle übrigen Besetzungswahrscheinlichkeiten sind jeweils dem Grundzustand zugeordnet und sind Eins (starker Zustandsparameter) oder in einer Umgebung des Wertes Eins (schwacher Zustandsparameter).

Der sozial gerechte Grundzustand eine jeden Landes ist so wenig erreichbar wie der absolute Nullpunkt der Temperatur. In ihm verschwinden alle übergangswahrscheinlichkeiten aus dem Grundzustand in alle vermeidbaren Risikozustände, in die unvermeidbaren Zustände sind sie nur wenig größer als Null. Im nur gerechten Grundzustand verschwinden fast alle übergangswahrscheinlichkeiten aus dem Grundzustand in jeden Zustand, der einem Zustandsparameter zugeordnet ist, der zur Familie der Grundnormen gehört.

Genau genommen verschwinden auch in einem sozial gerechten Land selbst bei Erhaltung aller bekannten ethischen Normen nicht alle übergangswahrscheinlichkeiten in Risikozustände, weil durch Unkenntnis oder Mangel an Ressourcen nicht alle möglichen ethischen Risikofaktoren signifikant begrenzt werden können.

Die Erhaltung einer starken ethischen Norm kann auch dadurch ausgedrückt werden, daß die übergangswahrscheinlichkeit vom Grund- in einen zugeordneten Risikozustand verschwindet, die Erhaltung einer schwachen ethischen Norm dadurch, daß die übergangswahrscheinlichkeit vom Grund- in einen zugeordneten Risikozustand nur wenig über Null liegt; dies gilt in linearer Näherung.

Ermittelt man die übergangswahrscheinlichkeiten heute und mißt sie in drei Jahren wieder, dann ist ein Land genau dann vernünftig oder reformfähig, wenn in drei Jahren mehr übergangswahrscheinlichkeiten vom Grundzustand in Risikozustände mit gebundenen hohen und höchsten Zustandsparametern unter einer vorgegebenen kleinen Schranke nahe Null liegen als heute.

Die hier skizzierten Zusammenhänge kann man durch spieltheoretische Modelle oder auch durch Computermodelle beschreiben, wenn bewertete Normen bzw. zugehörige Zustandsparameter sowie Besetzungs- und übergangswahrscheinlichkeiten aufgrund geeigneter statistischer Erhebungen bekannt sind.

Im Unterschied zu bisher bekannten Computermodellen sind die Zustände existierender Länder sowie ihrer sozialen Untersysteme im Rahmen des hier vorgeschlagenen empirischen Forschungsprogramms willkürfrei definiert. Denn entweder handelt es sich um Risikofaktoren, die durch paarweise Interaktionen, die in allen Ländern gleich sind, beschrieben werden, oder um solche, die durch fachwissenschaftliche Forschungsergebnisse zuverlässig gestützt sind.

7. Nichtlineare Ethik: Normenkonflikte

7.1 Freie und gebundene Risikoparameter
Wo auch nur eine einzige ethische starke Norm nicht eingehalten wird oder eingehalten werden kann, entstehen Normenkonflikte.

Normenkonflikte zwingen den unmittelbar Beteiligten wie der sozialen Umgebung Reaktionen auf, in denen sich nicht mehr alle involvierten Normen gleichzeitig befolgen lassen.

Sobald ein Normenkonflikt entstanden ist, gibt es zwei Klassen von Risikoparametern: freie und gebundene. Normen, die gebundenen Parametern zugeordnet sind, können von Eingreifenden zur Risikominimierung nicht mehr befolgt werden.

Nur im Grundzustand sind alle Risikoparameter frei. Er kennzeichnet das - fiktive - relativ sozial gerechte Land, dessen Bürgerinnen und Bürgern alle ethisch begründeten Spielregeln auch ohne soziale Kontrolle befolgen.
In Risikozuständen ersetzen gebundene Risikoparameter freie: Je mehr gebundene Risikoparameter in einem Land oder einem seiner Subsysteme, desto wahrscheinlicher chaotische Entartungen wie ökonomische, soziale, oder ökologische Krisen, Bürgerkriege oder Kriege.

7.2 Zur Lösung von Normenkonflikten
Jeder Normenkonflikt aktiviert Koppelungen zwischen ethischen Risiken. Zur Risikobegrenzung muß der Grad der Gerechtigkeit der sozialen Umgebung der Störung miteinbezogen werden.

Im totalitären Staat steht Aufrichtigkeit gegenüber der Polizei wirksamer Risikobegrenzung meist entgegen.

Wegen Rückkoppelungen zwischen Risiken und zwischen der Störung und ihrer sozialen Umgebung ist jede Lösungstheorie für Normenkonflikte notwendig "nichtlinear".

Wie oben bereits kurz erwähnt, entstehen Normenkonflikte auch durch Ressourcenmangel, so durch Hunger, Armut, Krankheit, mangelnde Bildung, durch Energiemangel, Innovationsschwäche oder Mangel an Arbeitsplätzen.
Ein aktuelles Beispiel für eine Mangelsituation bietet die moderne Transplantationsmedizin: Es gibt mehr Empfänger als Spender von Organen. Auch solche Konflikte können gelöst werden, wenn die Wertigkeiten der involvierten schwachen Normen bekannt sind.


Das universelle Handlungsprinzip "Duldung und Einmischung" blendet aus der Klasse aller möglichen stets die richtigen Handlungen aus:

Minimiere die Wertigkeit des größten noch gebundenen Risikoparameters in allen deinen Verantwortungsbereichen!

Je größer die Wertigkeiten von Normen, über deren Einhaltung Personen oder Gruppen entscheiden, desto größer ihre Verantwortung. Je höher die Verantwortung, desto höher insbesondere Zahl und Schwere der Normenkonflikte, die sie durch angemessene Einmischung zu lösen haben.

Einmischungen muß man sich als "chirurgische Eingriffe" vorstellen: Um das Leben eines Patienten (höchste Norm) zu retten, muß gesundes, aber nicht lebensnotwendiges Gewebe (niederwertigere Normen) geopfert werden.

Bei Interaktionen zwischen System A und B, bei denen B zuerst normenwidrig handelt, erfordert die Begrenzung ethischer Risiken, Wertigkeiten vergleichbarer Normen, die B schützen, gegenüber den Wertigkeiten entsprechender Normen, die A schützen, abzusenken.

Mit Hilfe dieser Bedingung lassen sich selbst normative Dilemmata lösen, in denen Leben gegen Leben steht, es also um ethische Normen unendlicher Wertigkeit geht.

Bei zwei Bürgerkriegsparteien muß diejenige durch "Einmischung" von außen in die Schranken gewiesen werden, die ethische Normen höchster Wertigkeit zuerst verletzt hat; somit ist klar entscheidbar, wann Interventionen - wie im ehemaligen Jugoslawien - verantwortet werden können.

Wieder anders liegt der Fall, wenn infolge einer Notsituation Leben gegen Leben steht, etwa das einer Mutter gegen das ihres noch ungeborenen Kindes. Hier kann nicht die Wertigkeit der Normen, die das Ungeborene schützen, automatisch gegen die Wertigkeit der Normen, die die Mutter vor Schaden bewahren sollen, herabgesetzt werden. Hier müssen vielmehr alle involvierten Normen für beide ermittelt und alsdann einzelnen bewertet werden. ähnlich liegt der Fall bei zwei Transplantationspatienten, von denen nur einer gerettet werden kann, und deren beider Leben zunächst gleiches Lebensrecht haben.


Der "kategorische Imperativ": "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde" [Kant, S. 140] kann nur bei Abwesenheit von Normenkonflikten ethische Risiken wirksam begrenzen. Die Ethik Kants versagt umso mehr, je tiefer Normenkonflikte ein Land spalten.

8. Ausblick: Autonomie und Strafrecht

Die neue Ethik kann erst dann in Recht, Politik Wirtschaft oder Technik angewendet werden, wenn für jede Kultur bzw. jedes Land laufend geordnete Darstellungen erweiterter Ethiken sowie Wertigkeiten der in Normenkonflikte verwickelten Normen durch geeignete Forschungsprogramme ermittelt werden.

Die wichtigste Anwendung der neuen Ethik betrifft das Strafrecht. Kein Toter wird lebendig, wenn der Totschläger lebenslang einsitzt. Wenn der Täter dagegen in seiner beruflichen Arbeit angemessen dazu beiträgt, einen Fond zur Versorgung der Angehörigen gewaltsam Getöteter zu unterstützen, haben die noch lebenden Opfer der Untaten mehr davon als von jeder Haftstrafe: Bestmögliche Wiedergutmachung ersetzt Strafe.

Wer zur Wiedergutmachung unfähig ist, verliert seine bürgerlichen Rechte. Notfalls kommt er in Sicherheitverwahrung.

Der Nachweis individueller Schuld ist nicht mit der notwendigen Sicherheit zu erbringen. Rechtliche Verantwortung im Sinne der Verursachung dagegen ist empirisch auch nachträglich nachweisbar. Ein Gerichtsurteil auf Schuld zu gründen, ist unzulässig: Das "Strafrecht" muß neu geschrieben werden.

9. Literatur

Aristoteles: Die Nikomachische Ethik; Zürich 1967
Aristoteles: Philosophische Schriften, Band 1-6; Hamburg 1995
Bacon, F.: Novum Organum 1,3; London 1620
Beck, U.: Risikogesellschaft - Auf dem Weg in eine andere Moderne; Frankfurt 1996
Bentele K., Reissert B., R. Schettkat (Hg.): Die Reformfähigkeit von Industriegesellschaften; Frankfurt 1995
Bentham, J.: Eine Einführung in die Prinzipien der Moral und der Gesetzgebung; Einführung in die utilitaristische Ethik, O. Höffe (Hg.); Tübingen 1992
Dahrendorf, R.: Lebenschancen; Frankfurt 1979
Dahrendorf, R.: Der moderne soziale Konflikt; Stuttgart 1992
Engelhardt, K., Lehmann K.: Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit; Hannover 1997
Frankena, W.K.: Analytische Ethik; München 1994
Gethmann, C.F.: Norm; Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, J. Mittelstraß (Hg.); Mannheim 1984
Hoerster, N.: Norm; Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, G. Radnitzky, H. Seiffert (Hg.); München 1989
Homburg, S.: Makroökonomik; Handbuch der Volkswirtschaftslehre I, J. von Hagen, A. Börsch-Supan, P.J.J. Welffens (Hg.); Berlin 1996
Kambartel, F.: Norm; Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, loc.cit. Kant, I.: Kritik der Praktischen Vernunft, Analytik, § 7. Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft; Werke; Darmstadt 1983
Leininger, W.: Mikroökonomik; Handbuch der Volkswirtschaftslehre, loc. cit. Lenk, H.: Zu einer praxisnahem Ethik der Verantwortung in den Wissenschaften; Wissenschaft und Ethik, H. Lenk (Hg.) Stuttgart 1991
Mackie, J. L.: Ethik - Auf der Suche nach dem Richtigen und Falschen; Stuttgart 1981
Marc Aurel: Selbstbetrachtungen; Stuttgart 1973
Meyer-Abich, K.-M.: Wege zum Frieden mit der Natur; München 1984
Mill, J. S.: Der Utilitarismus; Stuttgart 1985
Mill, J. S.: Gesammelte Werke; T. Gomperz (Hg.), Buch IV, Aalen 1968
Patzig, G.: Tatsachen, Normen, Sätze; Stuttgart 1980
Patzig, G.: Ethik ohne Metaphysik; Göttingen 1983
Platon: Sämtliche Werke, Band I; Heidelberg 1982
Popper, K.: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde; Tübingen, 1992
Rampacher, H.: Ethik und Verantwortung in der Informatik; IBM-Nachrichten Nr. 282, April 1986
Rampacher, H.: Ethisch-gesellschaftliche Randbedingungen von Informatik-Innovationen; H. Lenk, H. Poser (Hg.): Neue Realitäten - Herausforderungen der Philosophie; XVI. Deutscher Kongreß für Philsophie, Sektionsbeiträge I, S. 114; Berlin 1993
Rampacher, H.: Normen und Normenkonflikte; C. Hubig, H. Poser (Hg.): Cognitio humana - Dynamik des Wissens und der Werte; XVII. Deutscher Kongreß für Philosophie, Workshop-Beiträge, Band 2, S. 1627; Leipzig 1996
Rawls, J.: Eine Theorie der Gerechtigkeit; Frankfurt 1979
Rawls, J.: Die Idee des politischen Liberalismus; Frankfurt 1992
Schrader, W.H.: Norm II. Ethik; J. Ritter, K. Gründer: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 6, S. 910; Basel 1984
Süddeutsche Zeitung Nr. 43 vom 22. Februar 1994
Vorländer, K.: Immanuel Kant - Der Mann und das Werk; S. 170; Hamburg 1992
Vossenkuhl, W.: Diskursethik; O. Höffe (Hg.): Lexikon der Ethik; München 1992
Weber, M.: Politik als Beruf; M. Weber, Gesammelte Politische Schriften, J. Winkelmann (Hg.); Tübingen 1971
Wright, G. H. von: Normen, Werte und Handlungen; Frankfurt 1994
ZEITPunkte, Nr. 1/1996